Berliner Morgenpost: Reden wir über Russland


Berliner Morgenpost: Reden wir über Russland

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Die Berliner Morgenpost Berichtete im Mai 2014 über die Meinungen von Russen in Berlin  zum Ukraine Konflikt. Hier der links abgebildete Ausschnitt aus der Grünen Lampe:

Zitat: „Überall zerbrechen Freundschaften aus politischen Gründen“

Im russischen Restaurant „Grüne Lampe“ in Wilmersdorf die Amtssprache Deutsch. Der Ukraine-Konflikt ist auch hier bis an die Kochtöpfe herangerückt. Täglich werden hier russische Spezialitäten serviert. Die Gäste sind etwa zur Hälfte Deutsche, zur Hälfte russischer Herkunft. Das Personal, Köche, Kellner und auch die Restaurant-Inhaberin Julia Gutsch selbst haben sich bisher alle einfach als „russisch“ bezeichnet, sagt diese. „Auch wenn die einen aus Georgien stammen, die anderen Wolgadeutsche sind, die nächsten aus der Ukraine kommen.“ Julia Gutsch stammt selbst aus St. Petersburg. Als sie vor neun Jahren ihr Restaurant gründete, stand die Idee im Vordergrund, den Gästen russische Küche und Kultur zu bieten. Inzwischen steht immer öfter auch die Politik im Vordergrund - und auch zwischen den Menschen.

Gerade hat eine ukrainische Aushilfe Julia Gutsch ihr Leid geklagt. Ihre russischen Freunde wollten mit ihr nichts mehr zu tun haben. Wegen der politischen Situation. Sie müsse doch einsehen, dass die Krim zu Russland gehöre. Und überhaupt seien die ukrainischen Politiker alle „Banderas“, als Anhänger des umstrittenen Nationalhelden, der außerhalb der Ukraine als Nazi-Kollaborateur gilt. Julia Gutsch hat der jungen Frau gesagt, dass nicht alle Russen so denken – sie selbst zum Beispiel auch nicht. Dann haben sie weitergearbeitet. „Es ist ein extrem schwieriges Thema.“

Julia Gutsch ist von Beruf eigentlich Kunsthistorikerin und Reisekauffrau, sie ist verheiratet mit einem Berliner. An ihre Herkunft erinnert nur noch jener singende Akzent, den Deutsche so mögen. Diee „Grüne Lampe“ ist, wenn man so will, eine Zusammenführung all ihrer Passionen - eine Reise in die Kultur ihrer Heimat. Tagsüber kommen deutsche Reisegruppen. Viele interessieren sich nicht nur für köstlichen Borschtsch oder Pelmeni, sondern auch für russische Literatur und Kunst. Oder für das „Charlottengrad“ der 1920er-Jahre, als nach der russischen Revolution viele russische Künstler und Intellektuelle in das Viertel emigrierten - das ist Vergangenheit. Das heutige „russische Berlin“ kommt gern an Wochenenden und Feiertagen in die „Grünen Lampe“, dann gibt es traditionelle Musik und Tanz. Und gern auch erregte politische Debatten.

Solche Diskussionen gehören zur Tradition, auf die das Restaurant sich beruft. Es ist benannt nach der „Seljonaja Lampa“, einem elitären Club im St. Petersburg des 19. Jahrhunderts, in dem sich auch Kritiker des Zarenregimes trafen. Damals waren die Fronten klar - hier der Zar, dort Künstler wie der spätere Nationaldichter Alexander Puschkin, den der Zar zensieren und verbannen ließ. In der „Grünen Lampe“ 2014 sind die Dinge komplizierter.

„Die Ansichten prallen bei uns inzwischen oft hart aufeinander“, sagt Julia Gutsch. „Die einen Gäste finden, Putin habe doch gar keine andere Wahl, weil die Nato zu nah an der Ukraine steht. Andere freuen sich, dass Putin endlich wieder Macht zeigt und das Land zum Erfolg bringt. Wieder andere haben Angst vor weiteren Annexionen, vor Gewalt und einer Rückkehr zu sowjetischen Zeiten.“ Zu letzteren zählt auch die Gastgeberin selbst. „Ich habe große Furcht. Wenn es zu einem Bürgerkrieg kommt, trennt uns davon nur eine Luftlinie von 800 Kilometern. Wenn man Putin jetzt nicht stoppt, kann das zu einer sehr gefährlichen Situation führen.“

In den sozialen Netzwerken im Internet fiel ihr zuerst auf, wie groß die neue Kluft zwischen den Menschen ist. „Überall zerbrechen Freundschaften aus politischen Gründen.“ Auch ihr selbst passierte das. Nachdem sie auf Facebook die russischen Krim-Politik gepostet hatte, bekam sie einen besorgten Anruf aus Moskau. „Eine gute Freundin, sie ist Schriftstellerin, rief mich an.“ Sie finde, Putin mache alles richtig, sagte die Freundin, „und wenn du mich nicht mehr sehen willst, musst du es nur sagen!“ Julia Gutsch schüttelt den Kopf. Eine Freundschaft aufkündigen wegen Putin? Sie sind Freundinnen geblieben, „bis jetzt jedenfalls“. Sie schaut sorgenvoll.

Wenn Julia Gutsch mit Landsleuten spricht, versucht sie ihnen zu erklären, dass sie vorsichtig sein sollen mit dem, was im russischen Fernsehen berichtet wird. Sie selbst informiert sich lieber im Internet. Das russische Fernsehen macht sie wütend, sagt sie, „dort werden inzwischen wieder die alten sowjetischen Spielfilme gezeigt, es wird Nostalgie geschürt und Angst vor dem Westen wie in alten Zeiten.“

Sie selbst ist zu genau jenen Sowjetzeiten aus Russland geflohen. Mit ihrem kleinen Sohn, als jüdische „Kontingentflüchtlinge“. Später kam ihre Mutter nach. Eigentlich, sagt Julia Gutsch, hätten sie in ihrer Heimatstadt gut gelebt, das damals noch Leningrad hieß. „Aber ich wollte frei sein, frei wählen und reisen dürfen, wohin ich will.“ Das heutige Russland sieht sie kritisch. „Es ist eine ungerechte Gesellschaft, in der nur Reichtum und gute Beziehungen zählen.

Wie kann es weitergehen, in der Ukraine und auch zwischen den vielfältigen „Russen“ in Berlin? Sie weiß sie nicht. „Wie auch, wenn selbst Frau Merkel keinen Ausweg sieht?“ Merkels Politik des Abwartens, sagt Julia Gutsch, sei momentan vielleicht die beste Lösung.  

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